Führungskräfte auf allen Ebenen müssen permanent Entscheidungen treffen. Ihre Entscheidungen haben oft gravierende Folgen: Sie entscheiden über den wirtschaftlichen Erfolg/Misserfolg des Unternehmens. Besonders schwierig sind Entscheidungen bei massiven Konflikten mit Mitarbeitern. Oft erscheint eine Trennung als die einzige Möglichkeit. Aber ist das wirklich notwendig? Gibt es Alternativen? „Können wir es nicht doch nochmal versuchen“?
Entlassungsgespräch als besondere Herausforderung
Richtig herausfordernd ist es, in einem persönlichen Gespräch dem/der betreffenden MitarbeiterIn die Kündigung mitzuteilen. Das bereitet manchen Führungskräften schlaflose Nächte. Es ist deshalb gar nicht so verwunderlich, dass es Chefs gegeben hat, die ihren Mitarbeitern per SMS oder Mail gekündigt haben. Zu dem Trennungsgespräch kommt es dann häufig erst, wenn der Ärger und das Unverständnis so groß sind, dass das Gespräch dann zu einer „Abrechnung“ mit dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin wird. Es besteht dann keine Chance mehr, realistisch zu prüfen, wie eine Trennung in Würde für beide Seiten aussehen kann.
Jetzt bleibt nur noch die Trennung!
Seit einem Jahr ist Jan Leiter der technischen Abteilung. Vor einigen Monaten ist es in seinem Verantwortungsbereich zu einem gravierenden Abwasserproblem gekommen und giftige Abwässer sind in den Rhein gelangt. Eine Katastrophe konnte nur mit Mühe verhindert werden. Schuld daran war die Nachlässigkeit eines Mitarbeiters, der immer als zuverlässig galt, in der letzten Zeit aber einen deutlichen Leistungsabfall erkennen lässt. Jan führt ein Gespräch mit dem Mitarbeiter, es kommt zu einer Abmahnung und der Mitarbeiter beteuert, ´dass es nicht wieder vorkommen werde´. Einige Wochen später kommt es zu einem erneuten Fehler des Mitarbeiters. Jan ist fassungslos und ärgerlich. Er versteht nicht, warum der Mitarbeiter aus der vorangegangenen Situation nichts gelernt hat! Jetzt bleibt nur die Trennung. Jan bereitet sich sorgfältig auf das Gespräch vor. Er listet detailliert die Nachlässigkeiten des Mitarbeiters auf und erarbeitet einen Vorschlag für die Trennungsmodalitäten, die er mit der Personalabteilung abstimmt. Es geht ihm jetzt vor allem darum, einen Prozess vor dem Arbeitsgericht zu vermeiden.
Jan lässt sich beraten
Bevor Jan das Gespräch mit dem Mitarbeiter tatsächlich führt, nimmt er ein Coaching in Anspruch. Irgendwie ist er doch unsicher, weil er das Verhalten des bisher immer so zuverlässigen Mitarbeiters nicht begreifen kann. Im Coaching werden drei mögliche Szenarien der Gesprächsführung erarbeitet.
Szenario I: Trennungsgespräch
1. Benennen der Verdienste des Mitarbeiters
2. Benennen der Gründe für die Trennung (Fehler, Risiken)
3. Drei Vorschläge für die Modalitäten der Trennung (Zeitpunkt, Modalitäten) unterbreiten
4. Eine Entscheidung des Mitarbeiters herbeiführen, welche Alternative er wählen will und welche Konsequenzen das hat
Szenario II: Kritikgespräch
1. Benennen der Verdienste des Mitarbeiters
2. Benennen des Fehlverhaltens (Fakten benennen)
3. Das eigene Bedürfnis benennen (Warum sind mir Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit wichtig?)
4. Verhaltensänderung einfordern und Konsequenzen bei Nichtbeachtung klären (Entlassung)
5. Konkrete Vereinbarungen treffen
6. Erneutes Gespräch im nächsten Monat
Szenario III: Wertschätzende Erkundung
1. Benennen der Verdienste des Mitarbeiters
2. Gefühle, die das Fehlverhalten des Mitarbeiters bei Jan ausgelöst hat (Ärger, Wut, Unverständnis, Traurigkeit, Sorge)
3. Fragen des Fragezirkels verwenden, um die Hintergründe besser zu verstehen
4. Entscheidung über das weitere Vorgehen im Lichte möglicherweise neuer Informationen
Fragezirkel mit Anregungen zu möglichen Erkundungsfragen
Jan entscheidet sich für das Szenario III
Für Jan kommt Szenario II nicht Frage, weil das Kritikgespräch in der Vergangenheit keine Lösung gebracht hat. Bevor Szenario I gewählt wird, möchte Jan seinem Unbehagen über das unbegreifliche Verhalten eines verdienten Mitarbeiters auf den Grund gehen. Er wählt für das anstehende Mitarbeitergespräch das Szenario III.
Die Hintergründe des Leistungsabfalls werden offenbar
Weil Jan versucht, eine „verstehende“ Haltung an den Tag zu legen und statt zu bewerten zunächst Erkundungsfragen stellt, rückt der Mitarbeiter mit der Sprache heraus: Sein Sohn ist beim Vandalismus erwischt worden und es müssen 6.000 € Schadensersatz gezahlt werden. Der Vater fährt deshalb seit einigen Monaten nachts noch Taxi, um das Geld aufzubringen. Deshalb ist er oft übermüdet und unkonzentriert. Dann passieren natürlich Fehler. Auf die Frage von Jan, wie es denn jetzt weitergehen soll, fragt der Mitarbeiter zögernd an, ob es möglich wäre, einen Vorschuss oder ein Darlehen zu erhalten, das er dann monatlich als Abzug vom Lohn zurückzahlen würde. Wenn er das Geld nicht aufbringen kann, droht eine Anzeige…
Neue Entscheidungsalternativen
Eine „Wertschätzende Erkundung“ ist bei schwierigen Führungsentscheidungen ein Weg, um „guten Gewissens“ entscheiden zu können. Dadurch werden oft neue Entscheidungsalternativen eröffnet – oder die bestehende Alternative wird bestätigt. Im Fall von Jan hat dieser eine gangbare Alternative zur Kündigung gefunden.
Aber Jan vertraut dem Mitarbeiter nicht und bleibt bei seinen ursprünglichen Entschluss und kündigt ihm. Das Risiko eines erneuten gravierenden Fehlers ist ihm zu groß.
Wie hätten Sie entschieden?
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Das Titelbild ist ein Foto von g-mikee /photocase.com und zeigt keine im Artikel erwähnte Person