Immer mehr Mitarbeiter sind mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden
Laut der jährlich durchgeführten Gallup-Studie zur Arbeitszufriedenheit machen 67 Prozent der Deutschen nur „Dienst nach Vorschrift“. Und der Anteil der Arbeitnehmer, die „innerlich gekündigt“ haben, liegt bei 17 Prozent. Demnach hat jeder sechste Mitarbeiter bereits seine „innerliche Kündigung“ mit sich ausgemacht. Auch die Gründe dafür sind schnell gefunden:
Hauptursache für die innerliche Kündigung sei laut Gallup eine mangelhafte Personalführung: Viele Arbeitnehmer steigen hoch motiviert in ein Unternehmen ein, werden aber über einen längeren Zeitraum desillusioniert und resignieren schließlich. Die wichtigste Rolle spielt dabei fast immer der direkte Vorgesetzte. Von ihm oder ihr kommen oft zu wenig konstruktive Kritik, Anerkennung und Unterstützung – und das bei starker Arbeitsverdichtung und knapper Personaldecke. (Quelle: www.gallup.com)
Laura: Kündigen oder ausharren
Seit der neue Abteilungsleiter da ist, wird Laura immer unzufriedener mit ihrer Arbeit.
Die Tätigkeit selbst macht ihr immer noch Spaß, aber es ist einfach zu viel. Und vom Vorgesetzten kommen immer nur Kritik und noch mehr Arbeit auf den Schreibtisch. Die Überstunden nehmen kein Ende mehr. Oft hat sie den Eindruck, dass ihr Chef sie mobben will, obwohl sie eine Top-Mitarbeiterin ist. Das Fass läuft über, als er sie wegen unbedeutender Mängel in einem Bericht vor versammelter Mannschaft unangemessen kritisiert und lächerlich macht. Und das, obwohl sie dafür extra das ganze Wochenende geopfert hat. Der Chef hatte die dazu notwendigen Unterlagen erst am Freitag zur Verfügung gestellt mit den Worten: „Und am Montag legen Sie mir bitte den Bericht auf den Tisch!“. Laura überlegt deshalb seit langem, ob sie nicht kündigen soll. Seit Wochen denkt sie schon am Sonntagnachmittag mit Schrecken an die nächste Woche – obwohl sie ihre Arbeit eigentlich gerne macht. Aber was dann? Wird es an einer anderen Stelle besser? Finde ich überhaupt eine Stelle, die mir so viel Spaß macht? In der jetzigen Stelle habe ich mich eingearbeitet und mir eine gute Position erarbeitet. Und wo bekommt man heute noch einen unbefristeten Arbeitsvertrag, wie ich ihn hier habe… Andererseits kann ich es nicht mehr aushalten. Seit Wochen schlafe ich schlecht und bin zuhause nur noch müde und gereizt. Lange macht das mein Partner nicht mehr mit…!
Fünf Klärungsschritte
Bei Laura hat sich die Entscheidungsfrage auf zwei Alternativen „zusammengezogen“: Soll sie entweder in ihrer jetzigen Stelle aushalten und sehen, was kommt oder soll sie zum nächstmöglichen Termin kündigen und etwas Neues suchen. Um dieses Dilemma aufzulösen, gibt es fünf Klärungsschritte*, die hier am Beispiel von Laura dargestellt werden sollen. Die bloße gedankliche Auseinandersetzung wird dabei durch einen „Ortswechsel“ intensiviert, indem Laura fünf Stühle im Raum aufstellt und sich bei jedem Klärungsschritt auf einen anderen Stuhl setzt.
*Das bewährte Vorgehen der fünf Klärungsschritte geht zurück auf Varga von Kibéd und Insa Sparrer
Ganz im Gegenteil: Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen – für Querdenker, und solche die es werden wollen
Schritt 1: „Das Eine“
Worum geht es jetzt?
Was ist die Ihnen im Augenblick die etwas näher liegende Alternative?
Laura setzt sich auf einen der im Zimmer verteilten Stühle. Innerlich tendiert sie zu der Alternative „In der jetzigen Situation ausharren“. Sie vergegenwärtigt sich nochmals die guten Gründe für diese Alternative.
Schritt 2: „Das Andere“
Und was ist stattdessen möglich? Was ist die andere Alternative?
Laura setzt sich auf einen anderen Stuhl im Zimmer, den sie sich im räumlichen Verhältnis zum Stuhl 1 entsprechend zurechtrückt. Sie vergegenwärtigt sich die guten Gründe für diese Alternative „Zum nächsten Termin kündigen“
Schritt 3: „Beides“
Wenn es sowohl um das „Eine“ geht, als auch in irgendeiner Form um „das Andere“, also um „Beides“ geht, was würde das bedeuten?
Laura rückt sich einen dritten Stuhl zurecht. Sie überlegt, ob es Möglichkeiten gibt, das ´Eine´ und das ´Andere´ irgendwie zu verbinden. Auf diesem Stuhl verharrt sie sehr lange. Schließlich überlegt sie, dass ihrer „beides“ möglich wäre: Sie entscheidet sich, auf jeden Fall zu kündigen – aber erst, wenn sie eine neue Stelle gefunden hat. Bis dahin trennt sie klar die Bereiche: Arbeit ist Arbeit und Nicht-Arbeit ist Nicht-Arbeit.
Beides: Oder die bisher übersehene Vereinbarkeit des ´Einen´ und des ´Anderen´
Prinzipiell (also unabhängig von Lauras Beispiel) gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, wie die beiden Pole einer Entscheidung sich verbinden lassen; hier eine kleine Auswahl.
1. Kompromiss
Abrücken von seiner Idealvorstellung: es werden Abstriche gemacht, so dass von beidem
etwas möglich ist.
2. Bereichsaufteilung
Das eine gilt nur für einen Bereich, das andere nur für einen anderen Bereich
3. Nacheinander oder
einmal so und einmal so Das eine wird zuerst gemacht, dann das andere.
Oder: In einer Situation wird das eine gemacht, in einer anderen Situation das andere.
4. Rhythmus
An bestimmten Stunden/ Tagen das Eine, dann einige Zeit das Andere, dann wieder das
Eine usw.
5. Scheingegensätze
Die Alternativen sind keine Gegensätze; beide Alternativen können gleichzeitig
umgesetzt werden.
6. Andere Bewertung
Oft wird eine Alternative als richtig, die andere als falsch bewertet; man kann aber
auch genau umgekehrt bewerten. Daraus folgt eine neue Sicht: Jede der Alternativen
hat seine Berechtigung und wird gewürdigt. Das eine und das andere kann durchaus
jeweils mehrdeutig sein und eine andere Bewertung zulassen.
7. Andere Prämissen
Das Dilemma besteht, weil von bestimmten Prämissen (Voraussetzungen, Befürchtungen,
scheinbaren Fakten und Vorstellungen) ausgegangen wird, die so nicht gelten bzw.
bisher unüberprüft geblieben sind; wenn von anderen Voraussetzungen ausgegangen wird,
heben sich die Gegensätze oft auf.
8. Integration des Anderen in das Eine
Das, was in der nicht-gewählten Alternative gut, wichtig, attraktiv, erstrebenswert
ist, wird in die gewählte Alternative mit einbezogen; die Energie des Nicht-Gewählten
fließt in das Gewählte mit ein.
Noch zwei weitere Schritte zur Auflösung eines Entscheidungsdilemmas
Für Laura stehen noch zwei Schritte an, um zu einer für sie befriedigenden Entscheidung zu kommen.
Schritt 4: „Keins von Beiden“
Und angenommen, es gibt da noch etwas, in dem es weder um das ´Eine´ geht, noch um das ´Andere´ und auch nicht um ´Beides´, nennen wir es einmal „Weder –noch“ oder „Keines von Beiden“. Was könnte das sein?
Laura positioniert einen weiteren Stuhl im Zimmer und setzt sich darauf. Sie weiß, dass eine bloße Auszeit für sie nicht in Frage kommt, sie würde sich bloß langweilen. Sie wollte immer nochmal ein Master-Studium machen. Reizen würde sie danach auch eine Lehrtätigkeit an einer Fachschule.
Schritt 5: „All’ dies nicht und selbst das nicht!“
Und angenommen, alles bisher Überlegte ist es nicht, und sie wäre total frei, irgend etwas zu tun oder auch nicht. Was könnte das sein?
Zu ihrer eigenen Verwunderung setzt sich Laura spontan nicht auf den 5. Stuhl, sondern positioniert ihn ganz an den Rand und stellt sich darauf! In dieser Position merkt sie, wie stark sie in der Situation gefangen ist und gar nicht mehr frei denken kann. Sie spürt innerlich, dass das ganze Entscheidungsdilemma gar nicht so wichtig ist. Sie ist doch eigentlich frei, alles zu entscheiden, was sie will! Seit Monaten spürt Laura zum ersten Mal, dass sich der Kloß im Magen etwas löst.
Laura entscheidet sich
Nachdem Laura die „5 Schritte“ einige Tage hat nachwirken lassen und sich mit ihrem Partner abgesprochen hat, trifft sie die Entscheidung, zu kündigen, wenn sie eine neue Stelle gefunden hat. Sie sucht ab jetzt intensiv eine neue Stelle. In der neue Stelle wird sie nur halbtags arbeiten und ein Studium beginnen. Bis dahin wird sie keine Arbeit mehr mit nach Hause nehmen und den Blackberry am Wochenende konsequent abschalten.
Zusammenfassung: Was ist passiert?
Die fünf Schritte einer Entscheidungsklärung helfen dazu:
1. Entscheidungsfreiheit gewinnen
- Die beiden Entscheidungsalternativen („das Eine“, „das Andere“) werden beschrieben und die augenblickliche Präferenz („das Eine“) geklärt; damit wird das Entscheidungs-Dilemma klarer.
- Die Auseinandersetzung mit der mögliche Vereinbarkeit der Alternativen („Beides“) deckt bisher übersehene Verbindungsmöglichkeiten auf.
- Die Frage nach dem „Keines von beiden“ regt an, über den Tellerrand zu blicken und ganz andere Entscheidungs-Möglichkeiten zu prüfen.
- Die Möglichkeit, ganz frei und ohne Rücksicht auf Bedenken entscheiden zu können, wird in einem Entscheidungsdilemma oft komplett ausgeblendet. Die etwas befremdlich anmutende Formulierung „All’ dies nicht und selbst das nicht!“ macht deutlich, dass es große Entscheidungsfreiräume gibt. Egal, wie man sich entscheidet, man hat die Freiheit dazu, gerade so zu entscheiden!
2. „Kopf“ und „Bauch“ zusammenzubringen
Durch die Positionierung der verschiedenen Stühle und den Ortswechsel zwischen den Stühlen werden jeweils andere Gefühle geweckt. Es handelt sich dann nicht nur um ein rationales Abwägen. Die Positionierung weckt auch das Empfinden und die Gefühle, die mit den einzelnen Entscheidungsaspekten verbunden sind.
Sie sind skeptisch? Mit Recht.
Da hilft nur ausprobieren.
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Fotonachweis: ede1234 / photocase.de
Vielen Dank für dieses Beispiel!
Oft neige ich dazu, nur „dieses“ oder „jenes“ in Betracht zu ziehen.
Diese fünf Stühle bieten völlig neue Möglichkeiten.
Und dabei rausgekommen ist..die in meinen Augen ideale Variante.
So einfach kann es manchmal sein, etwas aus einem veränderten Blickwinkel zu betrachten 😉